Franz-Xaver Lindl wurde 1897 in Berching/Opf geboren. Seine berufliche Laufbahn begann mit einer Schreinerlehre (1911–1914). Danach übte er in der Benediktinerabtei Plankstetten und bei den Dornierwerken in München seinen erlernten Beruf aus.
Anschließend ließ er sich als Zeichner und Innenarchitekt an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg (1920–1924) ausbilden. Bemerkenswert sind seine ersten innenarchitektonischen Entwürfe und die dazugehörigen Zeichnungen.
1925 bereiste er Italien, fast ausschließlich zu Fuß, da ihm finanzielle Mittel fehlten. Spätestens seit Goethe stellte Italien das prägende Land für die bildende Kunst dar. Lindl wollte vermutlich mit seiner Reise an diese Tradition anknüpfen. In Italien entstanden zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen von Landschaften, Kirchen und Städten expressionistischer Prägung, in denen der Künstler seine Eindrücke festhielt.
Zurück in Deutschland, begann Lindl Bildhauerei an der renommierten Kunstakademie in Düsseldorf zu studieren. Er war dort von 1927 bis 1929 Meisterschüler bei Prof. Richard Langer. Während dieser Zeit entstand die Skulptur die Tanzende – eines seiner herausragenden Kunstwerke.
Bei der nationalen Kunstausstellung 1928 in Düsseldorf, bei der auch Künstler, wie Feininger, Dix, Klee, Kirchner und Pechstein ausstellten, erregte die Skulptur große Aufmerksamkeit. Ein Jahr später wurde sie mit dem großen Preußischen Staatspreis ausgezeichnet.
In der Düsseldorfer Zeit perfektionierte Lindl seine eigene künstlerische Ausdrucksweise und schloss sich den Rheinischen Spätexpressionisten an. In seinen Stein- und Holzskulpturen von damals manifestiert sich eine sehr eigenständige Ausdrucksweise.
In Lindls Pinselführung allerdings und in den großflächigen aufgetragenen Farben lässt sich auch ein gewisser Einfluss von Künstlergruppen wie der Blaue Reiter oder der Neuen Sachlichkeit feststellen. Dennoch stand Lindl den für ihn – wie er sie selbst nannte – „modischen Strömungen“ kritisch gegenüber und entwickelte seine eigene unabhängige persönliche Kunstauffassung. Dazu schrieb er: „Der Künstler soll nichts anderes sein als ein wirklicher Mensch, der Disziplin über sich und sein Schaffen und Ehrfurcht hat vor allem, was da lebt. Er soll selbst in den kleinsten Dingen die schöpferische Kraft Gottes sehen. Ist die Kunst triebhaft, so ist sie schlecht.“
Aus diesem Zitat geht hervor, dass für Lindl die künstlerische Begabung in dem betreffenden Menschen angelegt ist. Sie soll aber nicht den Affekten überlassen, sondern erlernt und mit Sorgfalt und Zuneigung ausgeführt werden, weil nur so der Mensch sich erhöhen und verbessern kann. Eine von den realen Gegenständen losgelöste Kunst lehnte er ab. Seine Kritik richtete sich gegen die ausschließlich abstrahierenden Kunstrichtungen. Gute Kunst beruhte für Lindl stets auf überlieferten Traditionen und „solidem Handwerk“, sie sollte ihren Bezug zu real existierenden Objekten niemals verlieren.
Einen Austausch mit gegenwärtigen Strömungen hielt Lindl jedoch immer für wichtig, um neue Anregungen zu erlangen. Dieser soll dennoch unter Berufung auf die eigenen künstlerischen Wurzeln stattfinden, da das Anknüpfen an die eigene Tradition einen unverzichtbaren Bezugspunkt für die weitere Entfaltung eines Künstlers darstelle.
Ab 1930 etablierte sich Lindl als freier Bildhauer, Maler und Grafiker und arbeitete für Kirchen und Privatleute im Rheinland und in seiner Heimatstadt Berching.
Auch bei großen Unternehmen wie der Farbenindustrie „IG Farben“ und der Goldscheideanstalt „Degussa“ arbeitete er als Grafiker.
Lindl unternahm in dieser Zeit kleinere und größere Reisen durch Holland und Flandern. Wieder war hier seine Neugier der entscheidende Antrieb für die Reisen, die ihm als Inspirationsquelle für seine Kunst dienten.
Durch einen Chemieunfall bei den „IG- Farben“ verlor er 1938 das rechte Auge. Obwohl der Unfall seine Arbeit schwer behinderte, wurde seine künstlerische Leistung dadurch nicht beeinträchtigt. Nach dem Unfall entstand die Zeichnung Selbstporträt als Kartenspieler, in dem er seinen Unfall künstlerisch verarbeitete.
Die in den 20-er und 30-er Jahren entstandenen Werke demonstrieren, wie Lindl als freier Künstler seine Begabungen so vielseitig einsetzte, dass bildende und angewandte Kunst in seinem gesamten Werk untrennbar erscheinen. Am Beispiel von drei Kunstwerken soll im Folgenden der Umgang Lindls mit den Kunsttechniken verdeutlicht werden:
Das Gemälde Kloster Rebdorf bei Eichstätt zeigt das ehemalige Augustiner-Chorherren Stift aus der Ferne. Das Gebäude ist in die unberührte Natur des Altmühltals bei Eichstätt eingebettet, die an einem sonnigen Tag ihre ganze Schönheit ausstrahlt. Die barocken Türme der Klosterkirche ragen vor der Silhouette der Hügel des fränkischen Juras empor. Die geometrische Architektur des majestätischen Klosters folgt der rhythmischen Bewegung der angedeuteten Anhöhen. Außer dem Kloster ist keine weitere menschliche Spur im Bild zu sehen. Das Gemälde lässt den Betrachter in stiller und ruhiger Kontemplation in die Landschaft eintauchen.
Für die Übertragung dieses Motivs auf die Leinwand wählte Lindl die Ölmalerei, da die Brillianz und die Oberfläche der Ölfarben die Idee einer harmonischen und ruhigen Landschaft besonders vorteilhaft unterstützen.
Für die Industriezeichnungen, die er für die „IG Farben“ vorbereitete, bedient er sich hingegen einer ganz anderen Technik, der Illustration. Die mit leichter Hand illustrierten Darstellungen der arbeitenden Menschen zeigen den Produktionsprozess des Textilprodukts. Sie wurden in Publikationen der Firma abgebildet, um den Lesern die komplexen Zusammenhänge der industriellen Textilfärbung bildlich zu vermitteln.
Lindl schafft es durch die unscharfen Konturen und die fast transparenten Hintergrundfarben der Zeichnungen das Wesentliche hervorzuheben. Die Illustrationen sind ein Beleg für die meisterhafte Hand Lindls und für seine Begabung, sie mit der gleichen Prägnanz zu schaffen, die sonst Kunstwerken eines „höheren Ranges“, wie z.B. der Ölmalerei zugeschrieben wird. Lindl emanzipierte sogar seine Illustrationen von der komponierten Darstellungsweise der etablierten Kunsttechniken und verlieh den Illustrationen eine autonome Sprache, die für ihre spezielle Aufgabe, die Erklärung eines technologischen Verfahrens, besonders ausdrucksstark ist.
Das vielseitige Talent Lindls zeigt auch das dritte Beispiel, der Oberpfälzer Bauer. Der Künstler erklärt zu dieser Zeichnung: „ein Bauer, ein Skeptiker durch und durch, er sagt: nun bin ich 75 Jahre, hab mich abgerackert mein ganzes Leben, soviel Leiden, soviel Unzulänglichkeiten, unter den Menschen, soviel Frömmelei und Heuchelei, soviel Ungerechtigkeit, dass man ausspucken möchte. Er selbst aber ist eine ehrliche Haut und fragt sich nun: Gibt es eine Gerechtigkeit, gibt es einen Gott?“.
Der in sich versunkene Bauer mit der Pfeife im Mund und dem nach unten gekehrten Blick denkt über den Sinn des menschlichen Lebens nach. Um diesen Zustand zu erläutern, bevorzugt Lindl dieses Mal die Bleistiftzeichnung. Die härteren und meist vertikalen Linien des Bleistiftes lassen den Betrachter schon beim ersten Anblick den inneren Zustand des Bauern erahnen. Seine Konflikte und Fragen werden somit unmittelbar mit dem Betrachter geteilt. Hier wird erneut deutlich, wie Lindl die unterschiedlichen Kunstgattungen bewusst einsetzte und wie diese die Botschaft des Kunstwerks unterstreichen.
An diesem letzten Beispiel kann noch eine weitere Charakteristik vieler Werke Lindls aufgezeigt werden, nämlich die Beschäftigung mit existentiellen Fragen. Sowohl in den Landschaften, als auch in den Porträts spiegelt sich eine tiefgründige Suche Lindls nach der Bedeutung des Lebens wider. Diese Suche gipfelt dann in der einzigartigen Fähigkeit des Künstlers, realistische Darstellungen mit einer starken emotionalen Ebene zu versehen. Diese auf den ersten Blick eher gegensätzlichen Pole (objektive und rationelle versus subjektive und emotionale Darstellungen) zu verbinden, ist ein ganz besonderer Verdienst seiner Kunst. Die realistischen Darstellungen kommunizieren auf eine sehr eindrückliche Art und Weise eine Seele, eine Stimmung, einen Charakter.
Diese starke Spiritualität hat ihren Ursprung im Glauben Lindls. Als tiefreligiöser Mensch war er überzeugt, dass seine Kunst die „schöpferische Hand Gottes“ in der Welt zeigen kann.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrach diese sehr schöpferische Zeit abrupt. 1940 wurde Lindl zum Wehrdienst ins Elsass und nach Russland einberufen. Dabei lernte er Teile von Frankreich, Polen und Weißrussland kennen. Die Lebensumstände waren extrem und etliche Krankheiten, unter denen er litt, erschwerten seinen Dienst. In Russland konnte er als Künstler weiter arbeiten, da dort sein Kompaniechef seine Begabung erkannte und ihn mit Zeichnungen von Brücken, arbeitenden Pionieren, Häusern und Landschaften beauftragte.
Zahlreiche Menschen und ihren Alltag hat Lindl dabei abgebildet. Gefühlsnahe und realistische Kunstwerke hat er aus der Kriegszeit hinterlassen, die seine Nächstenliebe und sein Interesse für fremde Kulturen (wie schon während seiner Italienreise) und speziell für die russischen Menschen ausdrücken. Die hier wiedergegebene Bleistiftzeichnung Russische Frau mit Kind am Kachelofen und das Gemälde Winter in Russland sind beispielhafte Kunstwerke aus der Kriegszeit.
Beim Betrachten dieser Bilder wird klar, dass die Kunst sein Leben beherrschte.
1943 wurde er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Wehrdienst entlassen und als Hilfspolizist in seiner Heimatstadt Berching eingesetzt. Seiner künstlerischen Tätigkeit ging er dennoch weiter mit Leidenschaft nach. Er veranstaltete im selben Jahr seine erste eigene Kunstausstellung im Rathaus von Neumarkt/Opf. In einem zeitgenössischen Zeitungsartikel wurde die Ausstellung, die Bilder aus der Umgebung Berchings, vom Altmühltal und aus dem Jura zeigte, hoch gelobt.
Vom Ende des Zweiten Weltkriegs an bis zu seinem Tode im Jahr 1970 kehrte Lindl zu seiner Tätigkeit als freier Maler und Bildhauer zurück. Hauptsächlich arbeitete er nun in seiner Heimat, wo er öffentliche und private Aufträge erhielt.
Er schuf in dieser Zeit eine große Anzahl an Ölbildern, Zeichnungen, Skulpturen, Fresken und Mosaiken.
Der persönlichen Stil Lindls erreichte in dieser Zeit seinen Höhepunkt. Die Kunstwerke aus den Nachkriegsjahren zeichnen sich durch die exzellente Ausführung der Details und ihre Gesamtkomposition aus, die dank seiner genialen Beobachtungsgabe das Wesentliche in den Vordergrund stellen.
Nennenswert ist die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Graphiker bei der Firma „Hoechst AG“ Mitte der 50er Jahre. 1958 ehrte die Firma seine Arbeit in einer Ausstellung, bei der seine Gemälde, Illustrationen und Graphiken zusammen mit denen anderer freischaffenden Künstler präsentiert wurden. Außerdem arbeitete er bei der Hoechst AG entscheidend an der Entwicklung von Trevira® als farbtragendem Material mit.
Nach den traumatischen Erlebnissen des Krieges waren seine letzten Lebensjahre von produktiver Arbeit und depressiven Phasen gekennzeichnet. Seine Schaffenskraft hat darunter nur kurzzeitig gelitten.